Bildung im Vorübergehen:

Dittenbergerstraße

Zusatzschild-Text:
Klassischer Philologe und Epigraphiker, Professor der Universität Halle, Vorsteher der halleschen Stadtverordneten
Spender:
gespendet von Mario Kerzel
Status:
realisiert am 23.05.2023

Wilhelm Dittenberger (1840 – 1906)

Wilhelm Dittenberger wurde am 31.8.1840 in Heidelberg geboren. Sein Vater war Pfarrer an der Stadtkirche zum Heiligen Geist und Professor an der Universität in Heidelberg, seine Mutter ebenfalls Tochter eines Theologen. 1852 zog die Familie nach Weimar, wo der Vater eine Stelle als Oberhofprediger angenommen hatte. Der Direktor des dortigen Gymnasiums, der Philologe Hermann Sauppe, vermittelte Wilhelm Dittenberger eine große Begeisterung für die alten Sprachen, die am Ende sein ebenfalls großes Interesse für die Mathematik überwog. So begann Dittenberger 1859 nach hervorragend bestandenem Abitur ein Studium der Altphilologie an der nahen Universität Jena. Nach vier Semestern wechselte er nach Göttingen zu seinem früheren Lehrer Sauppe, der dort inzwischen eine Professur innehatte. Dieser führte ihn schon 1863 auch zur Promotion mit der lateinisch abgefassten Schrift „De ephebis Atticis“. Darin wertet Dittenberger antike Inschriften aus, die sich auf die Organisation des Militärdienstes der jungen Männer in Athen beziehen.

Zwar hatte Wilhelm Dittenberger schon im Folgejahr mit seiner Habilitation die Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Hochschullehrer erfüllt, fand jedoch vorerst keine Möglichkeit, diese praktisch auszuüben. Bereits 1863 war er aber nach abgelegtem Staatsexamen in den Schuldienst eingetreten, auf eine erste Anstellung 1863 als Gymnasiallehrer in Göttingen folgte 1865 die Berufung an das angesehene Joachimsthalsche Gymnasium in Berlin. Neben der altgriechischen und lateinischen Sprache unterrichtete er auch die deutsche, außerdem Geschichte und Geographie, vorrangig jedoch in den unteren Klassen, mit zusätzlichen Verpflichtungen in der Internatsaufsicht. So nahm er 1867 die Gelegenheit wahr, an das Fürstliche Gymnasium Rudolstadt zu wechseln, wo er als Lehrer in höheren Klassen seinem wissenschaftlichen Anspruch näherkam. Er übernahm die Aktualisierung der umfangreich kommentierten Schulausgabe von Caesars „Bellum Gallicum“, der grundlegenden Lektüre für den Lateinunterricht, und führte sie von 1867 bis 1898 über elf Auflagen fort.

Nach einem erneuten Wechsel an das Königliche Gymnasium in Quedlinburg 1873, wozu ihn bessere Bedingungen und Bezahlung veranlassten, erhielt er sehr bald den Ruf an die Universität Halle auf eine neueingerichtete dritte Professur für Klassische Philologie. Mit immer noch erst 33 Jahren konnte er seine hohen Begabungen nun im akademischen Rahmen entfalten.

Der halleschen Universität, die gerade in der Klassischen Philologie eine große Tradition vorweisen konnte, blieb Wilhelm Dittenberger seine gesamte zweite Lebenshälfte treu. Rufe an andere Universitäten – 1885 nach Straßburg, 1890 nach Bonn – lehnte er ab. Die Studenten feierten ihn dafür, was sein hohes Ansehen als akademischer Lehrer unterstreicht. Dittenberger war eingebunden in einen Kreis von ebenfalls hoch geschätzten Altertumswissenschaftlern wie Carl Robert, Eduard Meyer und Georg Wissowa. Dreimal bekleidete er das Dekanat der Philosophischen Fakultät, 1886/1887 das Rektorat. Seit 1885 hatte Dittenberger außerdem die Professur der Eloquenz inne. Zu seinen Pflichten gehörte dabei, die Chronik der Universität zu redigieren und alljährlich am Geburtstag des Kaisers eine lateinische Festrede zu halten, bis diese Tradition 1897 auch in Halle aufgehoben wurde. Seine Reden thematisierten meist Aspekte der Geschichte Preußens oder der halleschen Universität.

Wilhelm Dittenbergers wissenschaftliche Arbeit konzentrierte sich auf die Epigraphik, die Sammlung und Auswertung von Inschriften, also privaten wie offiziellen Dokumenten sehr unterschiedlichen Umfangs, die sich zumeist auf Steindenkmälern erhalten haben und Auskunft über verschiedenste Aspekte antiken Lebens sowie auch der Sprachentwicklung geben. Obwohl Dittenberger nie antike Stätten im Mittelmeerraum bereist hat und auf die Abschriften von Kollegen angewiesen war, gilt er als einer der bedeutendsten Epigraphiker seiner Generation. Dieser Ruf gründet sich auf seine akribische, mit profunder Sprachkenntnis betriebene Analyse von oft nicht vollständig und eindeutig überlieferten Texten, die er mit scharfsinniger historischer Interpretation zu verbinden verstand. Im Rahmen des monumentalen Sammelwerkes der „Inscriptiones Graecae“ hat Dittenberger die kommentierte Herausgabe der athenischen Inschriften aus der römischen Kaiserzeit sowie der Inschriften der nord- und mittelgriechischen Regionen übernommen. Zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften beleuchten inhaltliche oder sprachliche Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit den Texten ergaben. Außerdem hat Dittenberger die Inschriften bekannt gemacht, die bei den von seinem früheren Lehrer Ernst Curtius geleiteten Ausgrabungen im Heiligtum von Olympia gefunden wurden. Als größtes Verdienst wird ihm aber zugerechnet, dass er aus der unübersehbaren Fülle von griechischen Inschriften mit sicherem Blick eine Auswahl wichtiger Texte getroffen und 1883 als „Sylloge inscriptionum graecarum“ herausgegeben hat. Zwischen 1898 und 1905 erschien eine überarbeitete und stark erweiterte Ausgabe, das Werk ist auch heute noch viel in Gebrauch.

In Halle hat Wilhelm Dittenberger aber noch auf einem gänzlich anderen Gebiet Spuren hinterlassen, als langjähriger Kommunalpolitiker. Er war von jeher politisch interessiert und von seinem Vater im Sinne liberaler Anschauungen geprägt. In Berlin verkehrte er in liberal-theologischen Kreisen, in Rudolstadt verfasste er politische Zeitungsartikel. Wiederholte Aufforderungen, für den Reichstag zu kandidieren, lehnte er ab, Aufgaben in der Stadtpolitik zu übernehmen, war er aber bereit. So wurde er 1888 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, bereits zwei Jahre später zu deren stellvertretendem Vorsitzenden und 1894 übernahm er den Vorsitz, den er über mehrere Wahlperioden bis zu seinem Tode innehatte. Über zwölf Jahre leitete Dittenberger die nahezu wöchentlich stattfindenden Sitzungen und beförderte Entscheidungsprozesse in der schnell wachsenden Industriestadt. Er erwarb hohe Sachkenntnis in den verschiedensten städtischen Belangen und wurde von Seiten aller Parteien wegen seiner souveränen und auf Ausgleich bedachten Versammlungsleitung geschätzt. Mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn vertrat er Bürgeranliegen und war auf objektive Einschätzungen bedacht.

Trotz der Vielzahl der Verpflichtungen, zu denen noch weitere Ämter und Mitgliedschaften im universitären wie städtischen Kontext zählten, hatte Dittenberger einen starken Familiensinn. Wie er dem Elternhaus eng verbunden war, so später seiner eigenen Familie. Er hatte 1869 in Rudolstadt Anna Schäfer, Tochter eines dortigen Hofrates geheiratet. Von seinen fünf Kindern starb ein Sohn früh, ein zweiter noch vor ihm. Ein weiterer wurde angesehener Rechtsanwalt in Halle.

Nach zwei Schlaganfällen starb Wilhelm Dittenberger am 29. Dezember 1906 aus dem aktiven Leben heraus. Zeitungsberichte bezeugen eine außergewöhnlich breite Anteilnahme bei seinem Begräbnis auf dem Nordfriedhof. Bereits 1910 erhielt eine neu eingerichtete Straße im Paulusviertel im Andenken an die beeindruckende Persönlichkeit Dittenbergers seinen Namen.

Henryk Löhr


Literatur:
Otto Kern: Wilhelm Dittenberger. In: Mitteldeutsche Lebensbilder 3 (1928) S. 522–538.
Georg Wissowa: Wilhelm Dittenberger. In: Biographisches Jahrbuch für die Altertumswissenschaft 31 (1908) S. 1–52.
Hans-Dieter Zimmermann: Wilhelm Dittenberger (1840–1906). Zum 100. Todestag eines bedeutenden Gelehrten und engagierten Kommunalpolitikers. In: Jahrbuch für Hallische Stadtgeschichte 2006, S. 264–269

 

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