Bildung im Vorübergehen:
Herderstraße
- Zusatzschild-Text:
- Dichter der Weimarer Klassik, Theologe, Übersetzer, Literaturkritiker, Volksliedersammler, Geschichts- und Kulturphilosoph, Humanist
- Spender:
- gespendet von Christine und Dr. Günther Hartmann und einer anonymen Spenderin
- Status:
- Vorschlag
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
Am 25. August 1744 wurde Johann Gottfried Herder als drittes Kind des Küsters und Mädchenschullehrers Johann Herder und seiner Ehefrau Anna Elisabeth, geb. Peltz, Tochter eines Schuhmachers, in Mohrungen (Ostpreußen, heute Provinz Ermland-Masuren in Polen) geboren. Der 16-jährige Herder leistete dem Diakon Sebastian Friedrich Trescho (1733-1804) Kopistendienste. Er wohnte bei dem Theologen und religiösen Erbauungsschriftsteller und konnte dessen kleine Bibliothek ausgiebig nutzen.
Vom russischen Militärarzt Johann Christian Schwartz-Erla wurde der 18-Jährige nach Königsberg vermittelt. Hier studierte er Theologie und finanzierte das Studium mit einer Hilfslehrerstelle am Collegium Fridericianum. Herder besuchte Vorlesungen Immanuel Kants (1724-1804) über Metaphysik, Logik, Moralphilosophie und physikalische Geographie. Er befreundete sich mit dem 14 Jahre älteren Johann Georg Hamann (1730-88), der Herder die entscheidende Bedeutung der Sprache für den Menschen nahebrachte und die Sinnlichkeit des Menschen gegenüber der bloßen Vernunft aufwertete. Auch seinen lebenslangen Verleger Johann Friedrich Hartknoch (1740-1789) lernte Herder hier kennen.
Im November 1764 wurde Herder als Hilfslehrer an die Domschule in Riga, damals eine von deutschen Kaufleuten geprägte, zu Russland gehörende Hansestadt, berufen. Er absolvierte zwei Predigerexamina und stieg schnell in höhere Positionen auf. Mit seinen besonders erfolgreichen Predigten wollte Herder als Volkslehrer eine menschliche Philosophie vermitteln.
Im Mai 1769 bat er um seine Entlassung aus dem Dienst, um sich auf Reisen geistig weiterzubilden. Auf der darauf folgenden Seereise nach Frankreich (Nantes, Paris) verfasste er das nicht zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Reisejournal, das neben dem persönlichen Erleben Projektionen für gesellschaftliche Reformen enthält und bereits schriftstellerische Werke skizziert, die er sich für die Zukunft vornehmen wollte. In seiner Ausdrucksweise gilt es als eines der Gründungsdokumente des Sturm und Drang. Seinen Traum einer Europareise, einer in seiner Zeit üblichen, aber teuren Grand Tour nach Italien, hoffte er sich zu erfüllen, als er im Dezember 1769 das Angebot des Erzbischofs von Lübeck erhielt, dessen Sohn, den Erbprinzen von Holstein-Gottorp als Erzieher auf dessen Grand Tour zu begleiten. Über Brüssel, Antwerpen, Den Haag und Amsterdam reiste Herder nach Hamburg, wo er Gotthold Ephraim Lessing und Matthias Claudius besuchte, und weiter an den Eutiner Hof. Die Reise nach Italien sollte im Juli 1770 beginnen, doch Konflikte mit dem Hofmeister des Prinzen ließen Herder Abstand davon nehmen und er kündigte auch hier. In Straßburg traf er auf den jungen Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Ab Mai 1771 war Herder Konsistorialrat beim Grafen von Schaumburg-Lippe in Bückeburg. Seine Schrift „Über den Ursprung der Sprache“ wurde von der Berliner Akademie preisgekrönt. Zwei Jahre arbeitete er mit an Friedrich Nicolais (1733-1811) „Allgemeiner Deutscher Bibliothek“. Mit der Gräfin Maria stand Herder in förderndem Austausch. Theologische und philosophische Studien entstanden. Einen Ruf an die Göttinger Universität lehnte er 1773 ab, da er als gestandener Mann eine Prüfung vor den Professoren verweigerte. Aber auch in Bückeburg wurde Herder nicht glücklich und so kam er auf Anregung Wielands und auf Vermittlung Goethes ab 1. Oktober 1776 als Weimarer Hofprediger, Oberkonsistorial- und Kirchenrat, Generalsuperintendent und Pastor primarius zu Weimar in die thüringische Hauptstadt. Hier entstanden 1773 neben vielen anderen Schriften die Aufsätze „Briefwechsel über Ossian“ und zu „Shakespeare“, 1774 „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“. Auf der Suche nach der Urpoesie der Völker verstand Herder die vermeintlich aus dem 3. Jahrhundert stammenden Gesänge des gälischen Heldendichters Ossian als „Musterbeispiel lebendig gebliebener Lieder aus dem Volke“ (von Borries). Shakespeare war für Herder mit seinen Dramen der „größte Dichter der Nordischen Menschheit“. Die gesamte Weltgeschichte deutete Herder als Geschichte der Menschheit, als Kulturgeschichte. Als Theologe wollte er damit die „auseinanderklaffenden Sphären von Glauben und Wissen, von Theologie und moderner Wissenschaft“ überbrücken (Maurer, S. 124). 1776 verfasste Herder Beiträge für Wielands „Teutschen Merkur“. Zwei Jahre später veröffentlichte er seine Volksliedersammlung. Herder prägte den Begriff „Volkslied“ und von ihm ging die wissenschaftliche Beschäftigung mit volkstümlichem Überlieferungsgut aus.
Während das Verhältnis zu Goethe an Spannung zunahm, fand er eine neue Freundschaft in dem reformierten Theologen und Schriftsteller Johann Georg Müller (1759-1819). Auf einer Reise nach Halberstadt und Hamburg 1783 begegnete er Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), Friedrich Gottlieb Klopstock (1727-1803) und Matthias Claudius (1740-1815).
Von 1784 bis 1791 entstanden die vier Bücher der „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. 1788 entwickelte Herder die Idee zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands. Im August desselben Jahres reiste er mit dem Domkapitular und Musikschriftsteller Johann Friedrich Hugo von Dalberg (1760-1812) schließlich doch nach Italien, wo er sich in Rom mit Angelika Kauffmann (1741-1807) anfreundete. Nach einem Aufenthalt in Neapel kehrte er im Juni 1789 über Florenz und Venedig zurück in die Heimat, wo er noch im selben Jahr zum Vizepräsidenten des Oberkonsistoriums ernannt wurde.
Überlastung und Krankheiten überschatteten die kommenden Jahre. Er entwickelte ein Leber- und Gichtleiden, legte sich mit seinem früheren Lehrer Kant an. 1803 reiste er nach Schneeberg, Eger und Dresden, um sich von einer weiteren Krankheit zu erholen. Am 18. Dezember 1803 starb Herder. In seiner Kirche, der Stadtkirche zu Weimar ist er begraben. Auf der dortigen Gedenktafel ist sein Leitspruch zu lesen: „Licht, Liebe, Leben!“, mit welchem Herder das Intellektuelle mit dem Religiösen verband.
Johann Gottfried Herder war Gelehrter, Prediger und Kirchenmann, Pädagoge, Schriftsteller, Übersetzer, Historiker und Philosoph – ein Mensch der Aufklärung, die aber neben der Vernunft das Herz, die Menschlichkeit berücksichtigt. „Sein wesentlicher Beitrag zur Leistung seiner Epoche ist die Rückgewinnung der Sinnlichkeit, die Kultivierung aller Kräfte des Menschen für ein umfassendes, erfülltes Menschsein“ (Maurer, S. 8).
Quellen:
Michael Maurer: Johann Gottfried Herder. Leben und Werk. 2014
Friedrich Wilhelm Katzenbach: Herder. 1970
Ernst und Erika von Borries: Aufklärung und Empfindsamkeit. Sturm und Drang. Dt. Literaturgeschichte, Bd. 2. 1991