Bildung im Vorübergehen:

Kefersteinstraße

Zusatzschild-Text:
Verdiente Bürger der Stadt Halle in Politik und Wirtschaft, Pächter der Kröllwitzer Papiermühle
Spender:
gespendet von Christine und Dr. Günther Hartmann
Status:
realisiert am 13.04.2023

Familie Keferstein (17. - 19. Jh.)

Am 25. August 1909 fragte der Königliche Studienrat Prof. Karl Ludwig Keferstein aus Wahlstatt bei Liegnitz im heutigen Polen beim halleschen Stadtrat an, ob eine der damals neu entstehenden Straßen in Halle zum Andenken an seinen um die Stadt Halle wohlverdienten Vorfahren Ratsmeister Gabriel Wilhelm Keferstein, gest. 1816, nach diesem benannt werden kann. Der hallesche Magistrat befürwortete in seiner Antwort vom 21. September 1909 den Vorschlag mit der Bemerkung, dass aufgrund der Verdienste auch anderer Mitglieder der Kefersteinschen Familie die Straße „zur Ehrung der alteingesessenen Familie“ Kefersteinstraße genannt werden soll. Im November stimmte der Familienrat des Vereins „Familie Keferstein“ dieser Namensgebung zu.

Fünf Generationen der Familie Keferstein haben als Pächter der Kröllwitzer Papiermühle die hallesche Papiermühlenindustrie bedeutend und erfindungsreich geprägt. Um die Papierherstellung in Preußen voranzutreiben, investierten sie in die technische Ausrüstung. Ihre Söhne bildeten sie nicht nur in der heimischen Werkstatt aus, sondern zum Nutzen der väterlichen Fabrik wurden sie zur Lehre auf Wanderschaft auch nach Holland, Dänemark und England geschickt. Kefersteinsche Papiermühlen bzw. Fabriken fanden sich auch in Ilfeld im Harz, in Weida und Berlin-Köpenick.
Die Wiege der Familie liegt in Mähren, über Böhmen gelangten sie nach Colditz in Sachsen, wo mit Hermann Keferstein (geb. 1496) der erste namentlich bekannte Keferstein als Besitzer einer Papiermühle überliefert ist. Das älteste überlieferte Privileg stammt von 1543. Der Urenkel Hermanns, Johann Keferstein, ging nach dem Tod seiner ersten Frau nach Waldenburg und betrieb dort eine Papiermühle. Dessen beide Söhne, Johann (geb. 1680) und Johann Christian zog es dann an die Saale bei Halle.

Als Begründer der halleschen Papiermühlenindustrie gilt Johann Christian Keferstein (1686, Waldenburg – 1759, Cröllwitz). 1718 übernahm er die drei Jahre zuvor in dem nahe bei Halle gelegenen Dorf Cröllwitz errichtete Papiermühle für jährlich 385 Taler in Pacht. Er dehnte die Zufuhr von Lumpen als wichtigsten Rohstoff systematisch auf den Magdeburger, Berliner und Anhalter Raum aus und erhielt Geleitsfreiheit beim Amt Giebichenstein. 1720 kaufte er eine der modernsten Mahlmaschinen zum Zerkleinern der Lumpen, den sogenannten „Holländer“. Die hohe Qualität des Kröllwitzer Papieres wurde allseits gelobt. Am 31. Januar 1725 verkaufte der bisherige Eigentümer Zacharias Kermes die Papiermühle an August Hermann Franckes Waisenhaus in Halle, womit die zum Waisenhaus gehörende Buchhandlung und Druckerei mit Papier versorgt werden konnte. Keferstein blieb Pächter.
1749 übergab er die Pacht an seinen zweiten Sohn Georg Christoph Keferstein (4.12.1723 – 4.1.1802). Dieser führte die Mühle erfolgreich durch den Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763). 1754 veröffentlichte er den Aufsatz „Von der Wasserreinigung zum Beruf des Papiermachens und den Hindernissen, warum in Teutschland kein solch Papier gemacht wird wie in Holland“ und einige Jahre später die Unterweisung „Unterricht eines Papiermachers an seine Söhne, diese Kunst betreffend“. 1783 stellte er das erste Velinpapier in Deutschland her (ein eher hartes, für Federzeichnungen geeignetes Papier). 1764 wurde der Zeitpachtvertrag in einen Erbpachtvertrag umgewandelt. Das Kefersteinsche Haus war ein Zentrum geselliger Kultur. An Sonntagen kamen hier die Familie, Gesellen und Arbeiter mit Gelehrten, Künstlern und halleschen Bürgern zusammen.

Georg Christophs dritter Sohn Gabriel Wilhelm Keferstein (16.9.1755 – 16.6.1816) wurde nach seinem Jurastudium zunächst Justizkommissar und Notar, dann Hoffiskal, 1786 Stadtsyndikus und Beisitzer im Königlichen Schöppenstuhl. 1806 wurde er zum Polizei-Ratsmeister gewählt, aber 1807 mit vier anderen halleschen Bürgern auf Befehl des Kaisers Napoleon gefangen genommen und nach Frankreich deportiert. Nach seiner Rückkehr hatte er kurzzeitig das Amt des Bürgermeisters inne. Als Mitglied der Westfälischen Reichsstände reiste er häufig zu Verhandlungen mit der neuen westfälischen Regierung nach Kassel. In Halle führte Gabriel Wilhelm Keferstein die Feuerung mit Braunkohle ein, unter Nutzung der um die Stadt herum neu entdeckten reichen Vorkommen. Zwischen der halleschen Pfännerschaft und der Regierung setzte er sich für einen Vertrag ein, der den Wert der Kot- und Solgüter außerordentlich steigerte.

Der vierte Sohn Georg Christoph Kefersteins, Philipp Sebastian Ludwig Keferstein (10.01.1764 – 01.01.1834) übernahm ab 1788 die väterliche Papiermühle und führte sie durch die schweren Zeiten von Hochwasserzerstörungen und der Napoleonischen Belagerungen von 1806 und 1813/15. 1790 gründete er in Halle eine erfolgreiche Papierhandlung. Er erfand eine Wasserpresse und eine Lumpenwaschmaschine und erkannte die Bedeutung der Dampfheizung für die Papierherstellung.
1820 überließ er Mühle und Papierhandlung seinem Sohn Christoph Ludwig Albrecht Keferstein (10.4.1792, Kröllwitz – 1872, Halle). Nachdem sämtliche Gebäude am 23. Oktober 1823 einem Brand zum Opfer fielen, ließ er die Fabrik wieder aufbauen und brachte sie zu einer neuen Blüte. 1840 ließ er die erste von am Ende drei englischen Maschinen zur Papierherstellung sowie notwendige Wasser- und Dampf-Kraftanlagen aufbauen und initiierte damit das Industriezeitalter der Papiermühle. Den zum Wohnhaus gehörenden Garten mit Wiese ließ er zum Park umgestalten. Christoph Ludwig war Mitglied des Preußischen Herrenhauses und Stadtrat in Halle (1856–1860) und – wie auch andere Familienmitglieder – Freimaurer in der Loge Zu den drei Degen.
In den 1860er Jahren verschlechterte sich der Absatzmarkt für Papier und die nachfolgenden Besitzer der Papiermühle konnten sie nicht mehr im Familienbesitz halten. Am 7. Oktober 1871 gründeten Vertreter der Bankhäuser H.F. Lehmann, Halle, Delbrück, Leo Co. in Berlin und Becker Co., Leipzig die Cröllwitzer-Actien-Papier-Fabrik.

Christian Keferstein (20.1.1784, Halle – 26.8.1866) war der erste Sohn des Juristen und Ratsmeisters Gabriel Wilhelm Keferstein. Er trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Jurist. Während der französisch-westfälischen Herrschaft hatte er die Stelle eines Advokaten inne. Nach Wiederherstellung der preußischen Regierung wirkte er 20 Jahre als Rechtsanwalt. Seine Leidenschaft galt jedoch der Mineralogie, Geologie und Ethnographie. Sein darüber autodidaktisch angeeignetes Wissen publizierte er in verschiedenen Veröffentlichungen, darunter finden sich Schriften über die Halloren, über den keltischen Ursprung von Halle sowie die Erinnerungen aus dem Leben eines alten Geognosten und Ethnographen mit Nachrichten über die Familie Keferstein. Seine 2000 Bände umfassende Privatbibliothek überließ er 1853 den Franckeschen Stiftungen.

Hermann Keferstein (4.2.1837, Merseburg – 5.4.1919, Halle), Großneffe von Gabriel Wilhelm Keferstein, war ab 1864 als Baumeister in Halle tätig. Sein Geschäft befand sich in der Leipziger Straße. Ab 1887 war er als unbesoldeter Stadtrat in Halle zuständig für Gewerbesachen, den Stadtgottesacker, und das Begräbniswesen. In Würdigung seiner Verdienste um die Stadt Halle wurde ihm zu seinem 70. Geburtstag der Titel „Stadtältester“ verliehen. Sein Grab befindet sich auf dem Stadtgottesacker.


Quellen:
Stadtarchiv Halle
- A 1.3. Tit. 12 Kap. E Nr. 9 Bd 1 "Die Benennung der Straßen betreffend"
- Familienarchive zu verschiedenen Familienmitgliedern Keferstein
- Sammlungsarchiv im FAUST

Christian Keferstein, Erinnerungen aus dem Leben eines alten Geognosten und Ethnographen mit Nachrichten über die Familie Keferstein. Halle 1855.
Bernhard Weißenborn, Die Cröllwitzer Papierfabrik in den zweihundert Jahren ihres Bestehens nebst Nachrichten über ihre Vorgängerin die hallesche Papiermühle 1714 – 1914. Halle 1914.

Dorin Kalkbrenner: Die Kröllwitzer Papiermühle – Aufstieg und Niedergang. Kulturfalter November 2008
Heidi Ritter: Die Papierfabrik in Halle-Kröllwitz (1716 – 1940). Landesheimatbund Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Sachsen-Anhalt-Journal 1-2020

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