Bildung im Vorübergehen:
Lise-Meitner-Straße
- Zusatzschild-Text:
- Kernphysikerin, Radiologin, Mitentdeckerin der Kernspaltung, 1926 Deutschlands 1. Professorin für Physik
- Spender:
- gespendet von Elke-Melanie und Dr. Jürgen Wendt und vom Trothaer Kreis (Prof. Dr. Egon Fanghänel, Prof. Dr. Wolfgang Fratzscher, Dipl.-Ing. Hartmut Koch, Prof. Dr. Ernst-Otto Reher †, Prof. Dr. Rudolf Taube
- Status:
- realisiert am 24.01.2018
Lise Meitner (1878-1968)
Lise Meitner war seit 1926 Mitglied der Leopoldina. Zusammen mit Otto Hahn hatte sie durch die Anwendung radioaktiver Strahlen eine Anzahl bisher nicht bekannter radioaktiver Elemente entdeckt und beschrieben. Besondere Bedeutung erwarb sie sich als Mitentdeckerin der Kernspaltung des Urans und ermittelte als Erste die ungeheure spezifische Energie, die bei dieser Spaltung frei wird. Und sie wies sofort darauf hin, welche zerstörerische Kraft damit der menschlichen Gesellschaft bei einer militärischen Anwendung zur Verfügung steht. Lise Meitner wendete sich deshalb ausdrücklich öffentlich und mit Nachdruck gegen eine mögliche Anwendung.
Am 7. 11. 1878 wurde Lise Meitner als Tochter des jüdischen Rechtsanwaltes Philipp Meitner und seiner Frau Hedwig Meitner-Skovran in Wien geboren. Schon als Schulkind zeigte sie Interesse für Mathematik und die Naturwissenschaften. Für Mädchen war es damals nicht möglich in Österreich an einem Gymnasium die Hochschulreife zu erreichen. Sie legte deshalb nach Privatunterricht 1901 die Externisten-Matura ab und studierte dann Physik an der Universität Wien. Eine prägende Persönlichkeit dort war für sie Ludwig Boltzmann. Schon 1906 promovierte sie mit einer Arbeit über Wärmeleitung in porösen Körpern. Sie verblieb zunächst an der Universität und beschäftigte sich in der damals völlig neuen Radioaktivitätsforschung experimentell und theoretisch. Durch einen Vortrag an der Universität lernte sie, auch persönlich, Max Planck kennen. Daraufhin wollte sie seine Theorievorlesungen hören und kam dazu 1907 nach Berlin. Nach anfänglicher Reserviertheit wurde Planck im Laufe der Zeit ein väterlicher Freund für Lise Meitner.
Schon 1907 lernte sie Otto Hahn kennen. Auch er beschäftigte sich mit der Radioaktivität, allerdings von der chemischen Seite her. Da Lise Meitner sich mit der physikalischen Seite dieser Erscheinungen auseinander setzte, ergänzten sie sich sehr gut. Er war ein akribisch arbeitender Chemiker, der experimentell außerordentlich sorgfältig vorging und sie suchte vordergründig allgemeingültige Zusammenhänge auf der Basis entsprechender physikalischer Grundgesetze. Da sich beide menschlich außerordentlich gut verstanden, entstand daraus eine 30jährige Zusammenarbeit und eine lebenslange Freundschaft. Diese wurde erst durch die Politik des Nationalsozialismus eingeschränkt und getrübt. Interessant ist vielleicht auch, dass sie sich erst 1922 im persönlichen Umgang entschlossen, zum vertrauten „Du“ überzugehen.
1912 wechselten beide zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie (KWI). Dort konnten sie im Laufe der Jahre mehrere neue radioaktive Elemente entdecken, so auch 1918 das Element 91 Protactinium. Dadurch wurden sie in der wissenschaftlichen Welt bekannt und konnten bereits damals Ansehen gewinnen und Auszeichnungen entgegennehmen. Auch bei denen von Hahn wurde in den Begründungen stets darauf hingewiesen, dass die jeweiligen Ergebnisse auf der Arbeit von ihm und Lise Meitner beruhen. So wurde Hahn schließlich Direktor des KWI und Lise Meitner Leiterin der physikalisch-radiologischen Abteilung. 1919 wurde sie, als erste Frau überhaupt, über die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Professorin ernannt und legte 1922, ebenso als erste Frau, die Habilitation ab, zwei Jahre nach der entsprechenden Gesetzesöffnung.
1934 wurde das Neutron entdeckt. Lise Meitner machte Hahn darauf aufmerksam, da man nach ihrer Meinung mit dem Neutron möglicherweise auf Transurane stoßen könnte. Das waren Arbeiten, die Hahn gemeinsam mit Fritz Straßmann im Auge hatte.
In der Zwischenzeit hatte 1933 die Machtübernahme der NSDAP stattgefunden. Lise Meitner wurde sofort als Jüdin die Lehrbefugnis entzogen. An ihrem Arbeitsfeld änderte sich zunächst nichts, da das KWI privat finanziert war und ihr Umfeld, insbesondere durch den Einfluss von Planck und Hahn, nicht antisemitisch geprägt war. Außerdem schützte sie zunächst noch ihre österreichische Staatsangehörigkeit. Das änderte sich 1938 durch den Anschluss von Österreich. So floh sie am 13. Juli 1938 über Holland nach Schweden unter dramatischen Umständen. Sie fand dort im Nobelinstitut für Physik in Stockholm bescheidene Arbeitsmöglichkeiten. Mit Hahn unterhielt sie einen intensiven Briefkontakt. So unterrichtete er sie über überraschende Versuchsergebnisse im Spätsommer 1938 bei der Bestrahlung von Uran mit Neutronen. Nach ihren Ergebnissen entstanden durch die Bestrahlung Elemente mittlerer Massenzahl, wie z.B. Ba. Sie konnten sich das nur durch ein „Zerplatzen“ des Uranatoms erklären. Lise Meitner konnte dieses Phänomen physikalisch erklären. Es handelte sich um eine Kernspaltung des Urans mit einer enormen spezifischen Energiefreisetzung infolge des dabei auftretenden Massendefektes.
Für diese Leistung erhielt Otto Hahn 1944 den Nobelpreis für Chemie.
Über die Beschränkung der Preisverleihung auf Hahn entstanden nach dem Krieg ganze Bibliotheken. So hatte Hahn die Experimente gemeinsam mit Straßmann durchgeführt, dessen experimentelles Geschick allgemein bekannt und gerühmt worden war. Außerdem stammt die physikalische Erklärung dieses Phänomens bis hin zu quantitativen Abschätzungen von Lise Meitner. Diese ließ sie sofort zu Befürchtungen kommen über eine mögliche militärische Anwendung. Sie sprach sich auch sofort dagegen öffentlich aus. Im übrigen stammt die Bezeichnung „Kernspaltung“ von Meitners Neffen Otto Robert Frisch, der Kernphysiker war und dem sie ihre Überlegungen zur Kernspaltung mitgeteilt hatte. Zu bemerken ist, dass Hahn, zumindest anfänglich, offensichtlich zutiefst davon überzeugt war, dass die Auszeichnung mit der Beschränkung auf seine Person richtig war. Er hielt die experimentelle Realisierung der Kernspaltung mit der Charakterisierung der Spaltprodukte für den wesentlichen Schritt dieser Entdeckung. Außerdem besaß die Auszeichnung 1944 noch eine politische Seite. Eine Auszeichnung gemeinsam mit einer jüdischen „Ausländerin“ erschien damals in Deutschland gänzlich unmöglich.
Für Lise Meitner hatten diese Auseinandersetzungen die Konsequenz, dass ihre Arbeiten auch allgemein sehr bekannt wurden. Sie wurde mit Ehrungen fast überschwemmt. Zahlreiche Ehrendoktorate und Mitgliedschaften in wissenschaftlich Akademien wurden ihr zuerkannt. Insbesondere die USA bemühten sich um ihre Anstellung an entsprechende Institutionen. Das hatte zur Folge, dass sie in Schweden 1947 eine Forschungsprofessur erhielt mit der Möglichkeit auch experimentelle eigene Arbeiten durchzuführen.
1960 zog sie nach Cambridge, offensichtlich in die Nähe von Frisch. Dort ist sie am 21.10.1968 gestorben. Übrigens ist Otto Hahn nur ein Viertel Jahr früher gestorben. Mit ihm hatte sie sich ausgesöhnt aber die alte Vertrautheit hatte sich nicht wieder eingestellt.
Eine große Genugtuung war es für Lise Meitner, als sie gemeinsam mit Otto Hahn und Fritz Straßmann 1966 den Enrico-Fermi-Preis der USA-Atomenergiekommission bekam, die höchste Auszeichnung auf dem Gebiet der Kernphysik.
Wolfgang Fratzscher