Bildung im Vorübergehen:

Victor-Klemperer-Straße

Zusatzschild-Text:
Philologe, Romanist, Professor in Dresden und Halle, verfolgt von den Nationalsozialisten, Chronist von Alltag und Sprache des Dritten Reiches - LTI
Spender:
gespendet von Studienrat i. R. Horst Schattling sowie von Christliebe und Michael Büdke
Status:
realisiert am 10.05.2016

Victor Klemperer (1881-1960)

Am 9. Oktober 1881 wurde Victor Klemperer als achtes Kind des Rabbiners Dr. Wilhelm Klemperer und seiner Ehefrau Henriette, geb. Frankel, im heute polnischen Landsberg an der Warthe geboren. Nach dem Besuch des Französischen Gymnasiums und des Friedrichswerderschen Gymnasiums begann Klemperer eine Kaufmannslehre bei der Exportfirma Löwenstein & Hecht, Galanterie- und Kurzwaren. 1902, nach dem erneuten Besuch des Gymnasiums in seinem Geburtsort, legte er die Reifeprüfung ab.

Er studierte zunächst Germanistik und Romanistik in München, Genf, Paris, Berlin und Rom. 1905 brach er dieses Studium ab und arbeitete als freier Publizist und Schriftsteller in Berlin. Klemperer veröffentlichte in dieser Zeit erzählerische Werke, Monographien, Studien zur deutschen Literaturgeschichte. 1912 nahm er sein Studium in München wieder auf und promovierte im darauffolgenden Jahr mit der Arbeit „Die Zeitromane Friedrich Spielhagens und ihre Wurzeln“. Wiederum ein Jahr später habilitierte er sich mit einer Arbeit über den französischen Schriftsteller und Philosophen Montesquieu. Als Privatdozent der Universität München erhielt er eine Stelle als Lektor an der Universität Neapel. Diese Stelle gab er auf, um sich als Kriegsfreiwilliger im ersten Weltkrieg zu melden. 1916 erhielt er dafür das Königlich Bayrische Militär-Verdienstkreuz 3. Klasse mit Schwertern. Die letzten beiden Kriegsjahre arbeitete Klemperer als Zensor im Buchprüfungsamt der Presse-Abteilung des Militärgouvernements Litauen in Kowno und in Leipzig.

1919 wurde Klemperer außerordentlicher Professor für Romanistik an der Universität München. Im Jahr darauf erhielt er die ordentliche Professur an der Technischen Hochschule Dresden, die er bis 1935 innehatte. Er veröffentlichte zahlreiche Werke zur französischen und romanischen Literatur sowie zur neueren Philologie.
Victor Klemperer hatte über die gesamte Zeit der Weimarer Republik einen unterschwelligen Antisemitismus in der Gesellschaft gespürt. Er selbst konnte mit dem jüdischen Glauben nichts anfangen und fühlte sich als Deutscher. Auch seine Verdienste im 1. Weltkrieg nutzten ihm nicht viel. Mit dem Machtantritt Hitlers bekam auch Klemperer die verschärften Schikanen an den Juden zu spüren, obwohl er zunächst durch seine arische Ehefrau einen gewissen Schutz genoss. Aufgrund des von den Nazis erschaffenen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde Victor Klemperer 1935 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Nach dem Berufsverbot traf Klemperer das Verbot Leihbibliotheken zu benutzen am härtesten, da er die Arbeit an einem Grundlagenwerk über die Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert begonnen hatte. Infolge dessen betrieb er die akribische Aufzeichnung der demagogischen Sprache des Dritten Reiches. 1940 wurde er aus seinem Haus im Dresdner Ortsteil Dölzschen vertrieben und lebte mit seiner Frau in verschiedenen Judenhäusern. 1943 wurde er als Zwangsarbeiter in verschiedenen Dresdner Firmen eingesetzt.

Nach dem Luftangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 gelang den Klemperers die Flucht zunächst nach Piskowitz. Über Pirna, Falkenstein im Vogtland, Schweitenkirchen und München kamen sie nach Unterbernbach und kehrten über München, Regensburg und Falkenstein bis zum 10. Juni 1945 wieder nach Dresden zurück. Am 1. November desselben Jahres wurde Victor Klemperer als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Dresden wiedereingesetzt.
Klemperer trat der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Er hoffte, mit dieser Partei das Land vom nazistischen Denken zu bereinigen und ein neues bürgerliches, demokratisches Deutschland zu erschaffen. Im Dezember wurde ihm die Leitung der Volkshochschule Dresden übertragen. Im nächsten Jahr wurde er Mitglied der Landesleitung des Kulturbundes Sachsen, 1948-50 ihr Vorsitzender, und bis 1960 war er Mitglied des Präsidialrates des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands.

1947 erschien sein Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“, die „Lingua Tertii Imperii“ – Sprache des Dritten Reiches –, das anhand seiner Aufzeichnungen die Sprache der Nationalsozialisten während ihrer diktatorischen Herrschaft analysiert. Seit 1898 hatte Victor Klemperer Tagebuch geführt und damit nicht nur sein Leben und seine Stimmung festgehalten, sondern auch die Gesellschaft und das Leben um ihn herum porträtiert. Seine Aufzeichnungen waren in schwierigen Zeiten, so besonders während der Nazizeit, seine „Balancierstange“.

Im selben Jahr erhielt Klemperer die ordentliche Professur an der Universität Greifswald und im Jahr darauf kam er als ordentlicher Professor an die hallesche Universität. 1951 bis 1955 kam zur halleschen die ordentliche Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zusätzlich war Klemperer Mitglied des Zentralvorstandes der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, Abgeordneter der Volkskammer für die Fraktion des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Mitglied des Zentralvorstandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, sowie des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer. 1953 wurde er in die Deutsche Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

Victor Klemperer fühlte sich Zeit seines Lebens vom Ehrgeiz und Erfolg seiner Brüder unter Druck gesetzt (zwei waren angesehene Ärzte in der Weimarer Republik). Als er spürte, dass die politische Richtung des östlichen Teils Deutschlands nicht in die von ihm gewünschten demokratischen Bahnen drängte, war er hin und her gerissen zwischen seiner nun erreichten beruflichen Anerkennung und der gleichzeitigen Enttäuschung über die diktatorische Entwicklung in der DDR. In seinen Tagebuchaufzeichnungen setzte er seine Sprachanalysen fort und fand erschreckende Ähnlichkeiten zwischen der LTI und der Sprache der neuen Zeit.

Am 11. Februar 1960 starb Victor Klemperer in Dresden. Seine unzähligen über den Krieg geretteten Aufzeichnungen zum Alltag und Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in mehreren Büchern postum erschienen.

Antje Löhr-Dittrich


Quelle:

  • Peter Jacobs: Victor Klemperer. Im Kern ein deutsches Gewächs. Berlin, 2000.

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