Bildung im Vorübergehen:

Wilhelm-Jost-Straße

Zusatzschild-Text:
Architekt, 1912 – 1939 Stadtbaurat in Halle, über 50 Bauten in der Stadt u.a. Wasserturm Süd, Sparkasse, Umspannwerk am Hallmarkt, Stadtbad
Spender:
gespendet von Christine und Günther Hartmann
Status:
realisiert am 24.05.2024

Wilhelm Jost (1874 – 1944)

Wilhelm Jost (eigentlich Georg Robert Ludwig Wilhelm Jost) wurde am 2. November 1874 in Darmstadt als Sohn des Oberkonsistorialsekretärs Justus Wilhelm Jost und dessen Ehefrau Mathilde geboren. Als der Junge fünf Jahre alt war, starb sein Vater und die Mutter stockte die geringe Witwenpension mit Handarbeiten auf. Der Schüler Jost war von schneller Auffassungsgabe und konnte, indem er Nachhilfestunden erteilte, die häuslichen Finanzen ergänzen.
In seiner Heimatstadt studierte Wilhelm Jost Architektur an der Technischen Hochschule. Nebenher arbeitete er weiter als Nachhilfelehrer und sammelte praktische Erfahrungen als Volontär bei einem Maurermeister am Neubau seiner Lehranstalt. Nach Abschluss des ersten theoretischen Teilstudiums 1897 führte ihn seine praktische Baufach-Ausbildung nach Mainz und Gießen. In Gießen erhielt er als Aufgabe zur zweiten Staatsprüfung die Entwürfe zur Wiederherstellung des Gießeners Schlosses und des Rathauses von Schotten. Seine Entwürfe, die auch Fragen des gerade aufkommenden Denkmalschutzes erörterten, erhielten besondere Anerkennung. Nachdem Jost 1899 sein Examen mit Auszeichnung bestanden hatte, wurde ihm die Bauleitung über die Ausführung am Schottener Rathaus übertragen.

Als Regierungsbaumeister in der staatlichen Bauverwaltung des Großherzogtums Hessen betreute er ab 1901 von Friedberg aus die Neubauten der Bade- und Kuranlagen in Bad Nauheim im neuartigen, phantasievollen Jugendstil. Neben dieser Tätigkeit nahm Jost private Entwurfsaufträge an für Wohn- und Geschäftshäuser, was ihm später in Halle laut Arbeitsvertrag untersagt war. Für das Sanatorium Groedel in Bad Nauheim übernahm er auch die Bauleitung. Studienreisen führten ihn nach Italien und nach Paris, um u.a. die Verwendung von Baukeramik zu erkunden. 1907 trat er dem Deutschen Werkbund bei.

1911 lud ihn der hallesche Oberbürgermeister Richard Robert Rive ein, das Amt des Stadtbaurates für Hochbau in Halle zu übernehmen. Die Arbeiten in Bad Nauheim waren beinahe beendet, die Stelle in Halle sollte doppelt so hoch bezahlt werden. Zur gleichen Zeit übertrug ihm sein bisheriger Dienstherr die Stelle des Kreisbauinspektors in Worms. Nachdem sich eine Kommission die Bauten Josts in Bad Nauheim angesehen hatte und er sich in Halle mit zwei weiteren Bewerbern um die Stelle den Stadtverordneten vorgestellt hatte, fiel die Wahl schließlich am 11. März 1912 auf Wilhelm Jost, der dieses Amt die nächsten 27 Jahre bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1939 ausfüllen sollte.

Mit über 50 Bauten hat Wilhelm Jost das Stadtbild Halles wesentlich geprägt. Zunächst waren von seinem Amtsvorgänger liegen gebliebene Entwurfs- und Planungsarbeiten auszuführen. Der erste Bau, den Wilhelm Jost in Halle realisierte, war 1913-1916 der Neubau der Sparkasse in der Rathausstraße. Es folgte im gleichen Zeitraum der Bau des halleschen Stadtbades in der Schimmelstraße zur Körperhygiene und Körperertüchtigung mit nach Geschlecht und Erwerbsklassen getrennten Brause- und Wannenbädern, zwei großen Schwimmbecken und dem irisch-römischen Bad. Zwischen 1913 und 1915 entstand unter Mitwirkung hallescher Künstler wie Karl Völker, Paul und Richard Horn und Martin Knauthe der Gertraudenfriedhof, der Architektur, Gartenkunst und bildende Kunst in sich vereinte. Zu den aufgestauten Arbeiten gehörten auch die Silberne Hochzeitsstiftung des letzten deutschen Kaiserpaares für Pflegebedürftige des gehobenen Mittelstands in der Beesener Straße und die Erweiterung des Hospitals St. Cyriaci et Antonii an der Glauchaer Straße.

Gemeinsam mit dem neuen Direktor der Kunstgewerbeschule Paul Thiersch wurde die Unterburg der Burg Giebichenstein für die Kunsthandwerkerausbildung nutzbar gemacht und die Brücke zwischen Giebichenstein und Kröllwitz erbaut. Eine Herzensangelegenheit Josts war der Bau des Solbades Wittekind in den 1920er Jahren, auf dessen Gelände der Architekt mit seiner Familie wohnte.

Aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der damit notwendig gewordenen Anpassung der Infrastruktur der Stadttechnik entstanden vor allem nach dem Ersten Weltkrieg neue Wohnviertel wie das Gesundbrunnenviertel. Hinzu kamen technische Bauwerke – Stromerzeugungs- und Verteilungsanlagen wie das Umspannwerk unterhalb der Marktkirche, das architektonisch zwischen dem höher gelegenen Marktplatz und dem tiefen Hallmarkt vermittelt, der Wasserturm Süd mit der charakteristischen Klinkerverblendung sowie mehrere Schulbauten (Pestalozzi-Schule 1928/29, die beiden Baugruppen der Diesterwegschule 1929/30 und 1938/39). Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieb Wilhelm Jost in seinem Amt, obwohl er nicht der NSDAP beitrat.

Wilhelm Jost starb auf dem landwirtschaftlichen Gut der Familie seiner Tochter in Lohdorf (polnisch Łojewo), Provinz Posen. Auf dem Gertraudenfriedhof in Halle befindet sich sein Grab.

In seiner ersten Zeit in Halle war Josts architektonische sowie städtebauliche Überzeugung gekennzeichnet von der Ablehnung des von überlieferten Formvorstellungen befangenen Historismus. Als gemäßigter Reformarchitekt besann er sich zurück auf die Architektur des 18. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende um 1800, was sich in der variantenreichen Integration von Stilelementen äußerte. Seine frühen Gebäude zeigen eine auf das Wesentlichste reduzierte Gliederung – mit Sprossenfenstern strukturierte, auf einem Werksteinsockel ruhende, verputzte Baukörper, die von Erker oder Vorsprünge belebt und von einem steilen Dach abgeschlossen sind. Besonders im Eingangsbereich ist der für Jost wichtige figürliche Schmuck konzentriert. Ebenso wichtig war für den Stadtbaurat die harmonische Einbeziehung in das städtebauliche Umfeld. Wilhelm Jost vertrat eine gemäßigte Moderne. In seiner Verantwortung als Stadtbaurat kann man ihn „als einen verantwortungsbewussten Architekten, der für die historische Substanz und Tradition seiner Stadt eintrat“ bezeichnen (Homagk 2013, S. 94).

Quellen:
Mathias Homagk: Wilhelm Jost. Architekt und Stadtbaurat in Halle an der Saale 1912-1939. Dissertation. Weimar 2017.
Mathias Homagk: „Gebaut habe ich genug“. Wilhelm Jost als Stadtbaurat in Halle an der Saale (1912-1939). Halle, Hasenverlag, 2013.
Mathias Homagk: Der Architekt und Stadtbaurat Wilhelm Jost in Halle 1912-1939, Kulturfalter Juni 2012
Britta Spranger und Dieter Dolgner (Hrsg.): Wilhelm Jost. Erinnerungen aus meinem Leben. Selbstzeugnisse eines halleschen Stadtbaurates 1912-1939. Halle, mdv, 2022.

 

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